Ein Kaninchen war mein erstes Haustier, wie wahrscheinlich für viele Menschen. In meiner gesamten Kindheit hatte ich mir einen Hund gewünscht, aber als dieser Wunsch nie erfüllt wurde, traf ich schließlich mit 14 Jahren die Entscheidung, dass ein Kaninchen bei mir einziehen sollte. Natürlich wusste ich damals noch nicht viel über Kaninchen und ihre Bedürfnisse, aber ich liebte Wuschi – so hieß mein kleines Mädchen – die wie damals üblich in einem Zimmerkäfig wohnte.
Als ich von zu Hause auszog kam Wuschi natürlich mit, und von da an verbesserten sich auch ihre Lebensbedingungen. Ich verbrachte so viel Zeit wie nur möglich mit meinem Kaninchen. Für sie war ich die ganze Welt und das war mir auch bewusst. Ich war Ihr Partner. In Anbetracht der Tatsache, daß Kaninchen mehr als 50% der Tagesaktivität mit Sozialkontakten verbringen, dennoch ein kläglicher Ersatz. Trotz sicherlich nicht artgerechter Ernährung und Haltung wurde sie 8 Jahre alt. Wuschi begleitete mich also vom Teenageralter ins Erwachsenenleben.
Ein Jahr nach ihrem Tod erfüllte ich mir den Wunsch nach einem Hund, und es mag viele überraschen, aber zu Beginn war ich sogar ein wenig enttäuscht. Die Beziehung, die ich zu meinem Kaninchen gehabt hatte, war tief und innig gewesen. Diese Verbindung musste ich nun auch mit meinem damaligen ersten Hund neu aufbauen.
Durch verschiedene Zufälle und Ereignisse kamen immer wieder Kaninchen in mein Leben. Eigentlich sind Kaninchen die Tiere, die ich am längsten in meinem Leben als Haustiere gehalten habe. Trotzdem würde ich sagen, dass ich tatsächlich erst jetzt die Reife habe, diese Tierart wirklich zu begreifen. Ich habe nach meinem ersten Kaninchen alle folgenden Kaninchen sicherlich nach bestem Wissen und Gewissen gehalten und versorgt. Trotzdem habe ich im Rückblick das Gefühl, dass ich sie als Wesen nie wirklich ganz begriffen habe.
Heute erlebe und sehe ich vieles aus einer ganz anderen Perspektive – mit einem neuen Verständnis. Ich gehe auf Augenhöhe mit meinen Tieren und lerne sie dadurch einfach auch anders und besser kennen. Die starke Fluchttendenz, die Kaninchen sicherlich aufweisen, und die für manche Probleme im Umgang sorgen, sind heute für mich verständlicher und nachvollziehbarer als damals.
Durch meine Erfahrungen als Trainerin und die Auseinandersetzung mit Medical Training und kooperativem Training ist es mir heute möglich, andere Wege im Umgang mit Fluchttieren und überhaupt mit Tieren zu gehen. Diese neue innere Haltung und auch der Umgang haben Auswirkungen auf die Tiere. Sie fühlen sich angenommen, und ich denke, auch ein Stück weit mehr verstanden.
Wenn ich heute zu meinen Kaninchen gehe und sie mich mit Küsschen begrüßen und bei einer drohenden Gefahr zu mir laufen, dann weiß ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Kaninchen brauchen Zeit – um zu vertrauen, sich sicher zu fühlen und mit den Menschen eine Freundschaft einzugehen. Letztlich sind wir mit unseren Raubtieraugen nicht selbstverständlich Freunde. Mit unseren Krallen sind wir nicht selbstverständlich harmlos, auch wenn wir uns selbst als solches erleben.
Wir Menschen, die wir von den Primaten abstammen, neigen dazu, alles mit den Händen erforschen und ergründen zu wollen. Wir möchten spüren, fühlen, begreifen. Dass dieses ER-Greifen für viele Tiere purer Stress bedeutet, ist uns oft gar nicht wirklich bewusst. Doch wenn wir uns zurücknehmen, unsere Hände mal wegpacken und uns einmal nur hinknien oder hinsetzen und warten, was die Tiere uns zu sagen haben, werden wir belohnt.
Oft reagieren die Tiere überrascht über unseren neuen Sinneswandel. Aber ich kann versichern, dass es sich auszahlt, diese Wege zu gehen. Natürlich ist es ein Leichtes, ein kleineres Tier in die Enge zu treiben, festzuhalten, zu fixieren, zu streicheln, zu begrenzen. Aber wollen wir das wirklich? Ist es nicht viel wertvoller und beglückender, wenn Tiere von sich aus unsere Nähe suchen und diese dann auch genießen? Für mich stellt sich hier gar nicht die Frage.